Chaosbay – Nachgefragt bei Jan Listing – Interview

Erst vor wenigen Wochen, am 18.09.2020 veröffentlichten die Progmetaller von Chaosbay ihr aktuelles Album Asylum, das sich, anders als viele andere Alben des Genre, einem tagesaktuellen, politischen und sozialen Thema widmet. Die Vierer Combo nimmt den Hörer mit auf eine unerbittliche Reise. Nun nahm sich die Band Zeit für ein Interview: 


Foto Credit: Alex Kleis

Adriana: Hallo und Danke für das Interview. Wie bereits erwähnt, habe ich Asylum für unser Magazin reviewt und es mit Höchstnote ausgezeichnet. Eine glatte 10/10!
Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die das Album so hoch bewertete. Wie geht es euch nun, rund einen Monat nach dem Release mit dem Album und dem Feedback dazu?
Jan: Vielen Dank erstmal für die tolle Bewertung! Wir freuen uns extrem über das gute Feedback in den Magazinen, die vielen Bestellungen der CD und LP und natürlich auch über das direkte Feedback der Fans. Aktuell sind wir sehr happy mit allem und hätten nicht gedacht, dass die – teils auch internationalen – Hörer das Album so sehr genießen, sich damit so intensiv beschäftigen und zum Beispiel auch inhaltliche oder musikalische Kleinigkeiten entdecken und feiern. Dann hat sich die ganze Arbeit und die Detailverliebtheit gelohnt, wenn man solche tollen Fans hat.

Adriana: Gab es überhaupt Feedback zum Album, dass es und euch nicht in den Himmel lobte?
Jan: Bisher haben wir kaum negatives Feedback bekommen. Wenn jemand negative Kritik geäußert hat, war das aber immer in einem sehr konstruktiven Rahmen und einer respektvollen Form (vielen Dank dafür), sodass uns auch das nur weiterbringen kann. Wir freuen uns sehr, dass die Community sehr fair und respektvoll ist, was den Umgang miteinander angeht.

Adriana: Euer Musikstil ist ein wunderbar breit gefächerter. Ich weiß aus meinem weit gestreuten Freundeskreis, dass euch sowohl die eingefleischten Progger, als auch die Metalheads gleichermaßen gut finden. Schreibt ihr euch selbst überhaupt einem bestimmten Genre zu?
Jan: Wir würden uns schon am ehesten dem Progressive Metal zuordnen. Einfach auch aus dem Grund, dass es meiner Meinung nach in diesem Genre kaum Grenzen gibt und es gerade das ausmacht, dass man machen kann, was man will. Die Bands, die diesem Genre angehören, machen von Pop- bishin zu Black-Metal-Alben alles, worauf sie gerade Lust haben und finden trotzdem immer ein begeistertes und aufgeschlossenes Publikum. Gerade das finden wir an diesem Genre so toll. Die Offenheit der Zuhörer.

Adriana: Dieser besagte Stil wurde mit jedem Album kompakter, runder, voller und auch progressiver. Große Melodien treffen auf knallharte Riffs. Liegt dies auch an den Themen, die euch bei den jeweiligen Alben beschäftigen?’
Jan: Ja, der Kontrast dieser beiden musikalischen Welten ist nicht nur unser persönlicher Geschmack, sondern verdeutlicht auch immer die Komplexität und die Dramatik der Themen, die wir behandeln. Es unterstreicht Gefühlsausbrüche, bringt Emotion in die Härte und beschreibt uns als Band einfach auch am besten. Dass unser Stil immer kompakter, runder und voller wird ist toll zu hören und liegt auch am Erfahrungsschatz, den man als Band über die Jahre sammelt. Es destilliert sich sozusagen mit der Zeit der perfekte Bandsound heraus.

Adriana: Die Thematik von Asylum könnte aktueller nicht sein, befasst es sich doch wie der Name vermuten lässt, mit Themen wie Flucht und Vertreibung. Weshalb gerade so ein schweres Thema?
Jan: Es gibt heutzutage so viel zu sagen. Man sollte einen Standpunkt haben und sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen. Gerade mir ist aufgefallen, dass es seit der Flüchtlingskrise 2015 in Teilen der Gesellschaft zu moralischen sehr fragwürdigen Ansichten kommt. Dazu muss man etwas sagen und sollte nicht schweigen. Ich wollte diese Themen auch in der sonst so unpolitischen Musik ansprechen um zu zeigen, dass es für alle relevant ist, solche Dinge zu diskutieren und zu hinterfragen. Man kann auch hier als Band seinen Teil dazu beitragen, die Menschen zum Nachdenken anzuregen. Das war mein Anliegen. Ich empfand es als falsch, nur über fiktive Dinge zu singen, da es so viele Theman da draußen gibt, über die es sich zu schreiben lohnt.

Adriana: Mir zwingt sich die Frage auf nach dem Hühnchen und dem Ei auf. Was ist bei euch zuerst? Schreibt ihr erst die Musik und dann die Lyrics oder umgekehrt?
Jan: Das inhaltliche Thema ist als erstes klar, aber noch keine konkreten Texte. Danach entsteht erstmal eine instrumentale Grundform, die Hauptriffs und die Hauptmelodien, darauf werden dann die richtigen Worte gefunden und der finale Text geschrieben. Im Anschluss gibt es noch kleine Änderungen und der instrumentale Feinschliff. Das ist die Regel. Natürlich gibt es Ausnahmen, in denen mal Worte zuerst kommen. Aber meist fängt das Instrumental an.

Adriana: Ich habe natürlich eure veröffentlichten Studio Sessions gesehen und gehört. Ihr spielt auch live einen irre präzisen Sound und ich weiß spätestens seit eurem Auftritt im Kölner Tsunami Club, dass ihr eine richtige Soundwall bietet, die keine Gefangenen macht.
Wie geht es euch in dieser Zeit ohne gewohnte Auftritte? Wie sind die weiteren Pläne, Asylum vor Publikum zu spielen?
Jan: Vielen Dank!! Toll, dass du da warst! Wir können es auch kaum erwarten, das ganze Album endlich live spielen zu dürfen. Im Januar 2021 haben wir unsere (teils schon verschobene) Release-Tour geplant. Allerdings kann es gut sein, dass wir da noch einige Gigs verschieben müssen. Bis dahin müssen wir uns mit Videodrehs und dem Schreiben neuer Songs über Wasser halten. Denn eigentlich ist das Live-Spielen der Grund, warum wir das alles machen und wir vermissen es sehr. Wir hoffen, dass es im nächsten Jahr ein paar Hygiene-Konzepte gibt, unter denen wenigstens ein paar Shows stattfinden können und freuen uns einfach irre auf die nächste normale Tour, wann auch immer das sein wird. Einen Vorteil hat es: Wir können mehr Zeit für Videos und anderen Content für unsere Fans – vor allem auch die inernationalen – aufwenden. Das macht auch viel Spaß und freut uns sehr.

Adriana: Manche Bands bieten interaktive Live Stream Events an. Ist dies eine Option für euch?
Jan: Bisher noch nicht. Wir finden, das ist nur ein sehr dürftiger Ersatz, weil genau das fehlt, was ein Live-Event ausmacht. Die Lautstärke, Energie, Geruch, die Club-Atmosphäre, einfach alles. Es macht für uns mehr Sinn, tolle Videos zu drehen und zu präsentieren, die auch von der Qualität einem Live-Auftritt entsprechen. Beim Streaming muss man video- und tontechnisch einfach zu viele Kompromisse machen. Und das hat uns bisher als Perfektionisten noch nicht zufrienden gestellt. Wir haben aber schon ein paar Sachen für nächstes Jahr geplant und es kann trotzdem sein, dass wir es mal probieren werden.

Adriana: Oder nutzt auch ihr die Zeit für weitere Songs im Studio?
Jan: Ja, das tun wir. Da wir jetzt mehr Zeit haben als gedacht, haben wir schon wieder neue Song im Kopf und schreiben gemeinsam an neuem Material und experimentieren im Studio herum. So kann man die Zeit eigentlich am Besten nutzen und fällt nicht in so ein tiefes Loch, wenn man sich direkt neue Ziele setzt.

Adriana: Eine kurze Frage zu eurer Base: Ihr seid in Berlin zu Hause. Ich kenne Berlin als pulsierende Stadt, lebhaft und bunt mit Platz für jeden und alles. Wie sieht es mit der Musikerszene dort aus? Gibt es abseits von Covid 19 mitsamt all den Einschränkungen eine stützende Community (gerade in den jetzigen Zeiten?)
Jan: Mmh, durch die vielen Kontaktbeschränkungen ist es sehr schwer zu sagen, wie aktiv die Community gerade ist. Berlin hat definitiv eine tolle Community, aber da zurzeit jeder für sich selbst klarkommen muss, ist es schwer sich auszutauschen und neue Leute kennenzulernen. Unabhängig von Covid-19 ist Berlin aber für Musiker eine wahnsinnig tolle und aktive Stadt, in der man extrem viel Dinge entdecken und ausprobieren kann. Zuzeit fühlt es sich aber eher an wie “Winterschlaf”.

Adriana: Könnt ihr mir einen Blick in die Zukunft von Chaosbay geben? Wie geht es weiter? Was erwartet uns?
Jan: Es wird definitiv neue Videos und neues Songmaterial im nächsten Jahr schon geben. Wir sind sehr motiviert durch die tollen Reaktionen auf “Asylum”, sodass wir schon tausend neue Ideen im Kopf haben. Ansonsten hoffen wir, dass wir bald endlich die Tour spielen können, um das Album auch live vorzustellen.

Adriana: Danke für das Interview. Die letzten Worte für unsere LeserInnen möchte ich gerne dir überlassen.
Jan: Liebe Leser! Danke für euer Interesse an Rock & Metal und auch den kleinen Bands da draußen. Gerade jetzt sind wir auf die Aufmerksamkeit der Online-Community angewiesen, um nicht völlig im Sumpf zu verschwinden. Bleibt weiterhin offen für neue Musik, unterstützt die Bands und wenn möglich, kauft oder verschenkt CDs und Platten eurer Lieblingskünstler, denn das ist momentan der einzige Weg, wie sie überleben können. Danke für euren Support und wir sind froh Teil einer so lebhaften, aufgeschlossenen und loyalen Szene zu sein. Wir sehen uns hoffentlich ganz bald wieder auf der Bühne!!


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