The Reticent – The Oubliette – Album Review

The Reticent – The Oubliette
Herkunft: North Carolina / USA
Release:
25.09.2020
Label:
Heaven & Hell Records
Dauer:
63:50
Genre: 
Progressive Metal


Progressive Meisterwerke zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie überzeugende Konzepte spannend erzählen und sie musikalisch stimmig im Sinne des Konzeptes umsetzen. Um ein solches handelt es sich beim zweiten Album The Oubliette von The Reticent, ein Projekt des Multiinstrumentalisten Chris Hathcock. Dabei behandelt er ein sowohl für Betroffene als auch für deren Angehörigen schwieriges Thema, nämlich die verschiedenen Schritte fortschreitender Demenz.

Die verschiedenen Stadien des mentalen Rückschrittes

Der Betroffene wird hier im Protagonisten Henry verkörpert, dessen seelischer und geistiger Verfall in sieben Stadien musikalisch umgesetzt wird. Im ersten Stadium His Name Is Henry wird dieser dem Hörer vorgestellt, zu Beginn seiner Erkrankung sowie irritiert über seine fortschreitenden Einschränkungen. Die Musik präsentiert sich als feiner Progressive Metal, der von der ersten bis zur letzten Minute so klingt, als wenn es von Opeth käme. Ganz klar, die Schweden standen hier Pate in ihrer Liebe zum differenzierten Sound und dem Stilmix, der genannten Progressive Metal auch Elemente des Swing, Latin sowie Jazz beinhalten, und damit die unklare, fortschreitende und vielfältige Gefühlslage von Henry passend akustisch illustrieren.

Musikalisch passend zum Stadium umgesetzt

Im zweiten Stadium The Captive, HIER das Video dazu, fühlt sich Henry gefangen, irrtümlich eingesperrt und versucht andauernd zu das Weite zu suchen. Das marschierende und galoppierende Schlagzeug illustriert das vortrefflich. Im dritten Stadium The Palliative Breath erkennt Henry seine Situation und seinen geistigen Verfall und versucht sich zunehmend in Akzeptanz und Selbstberuhigung. Wiederum reflektiert die ruhige, oft akustisch gehaltene, aber auch gewohnt progressive-rockige Musik vortrefflich.

In seiner eigenen Welt

Zur geistigen Degenerierung gehört auch das Sich-Abkoppeln von der Außenwelt und das Kreieren seiner eigenen Traum- und Phantasiewelten, das Zusammentreffen mit längst gegangenen Freunden und lieben Menschen. Dieser Vorgang und diese Traumwelt wird im Longtrack und viertem Stadium The Dream beschrieben. Hier gesellen sich Soundscapes wie bei King Crimson oder Pink Floyd ins Geschehen, um das traumhafte Geschehen zu illustrieren. Insgesamt ein sehr bunter Track und bester Progressive Rock.

Der Albtraums schreitet voran

Das fünfte Stadium und zweiter Longtrack The Nightmare schildert mit Elementen des Black Metal, das heißt albtraumhaften Screams und kräftig gutturalem Gesang, aber immer noch fein differenzierter Instrumentalarbeit den Albtraum, in dem sich Henry jetzt befindet. Völlig panisch über seinen Zustand verliert er die Kontrolle über sich und seinen Körper.

Musikalisch passend unterlegtes Gefängnis

Im Mittelalter bezeichnete das Oubliette ein Gefängnis, aus dem der Gefangene nie mehr entkommen konnte und dort sozial, mental und körperlich völlig verwahrloste, bis er dann vom Tod erlöst wurde. Im sechsten Stadium und dem dritten Longtrack diesen Namens wird Henrys Zustand sehr passend als eben Oubliette beschrieben, dieses Gefängnis ist für ihn endgültig, das Hospiz ist noch nicht einmal sein schlimmstes Gefängnis, schlimmer ist sein eigenes Gedankengefängnis, in dem er jeden Bezug zur Außenwelt und zu seinen Erinnerungen verloren hat. Wie auch die beiden vorherigen Longtracks wird hier ein ganzes Füllhorn an interessanten Melodien und pikanter Instrumentalarbeit ausgeschüttet.

Am Ziel

Im finalen Stadium, passend zu Henrys finalen Zustand einfach als Nulllinie ______ bezeichnet, hat Henry seinen Albtraum hinter sich, und der Arzt gibt eine finale Warnung über den epidemischen Charakter von Demenz ab. Musikalisch passiert hier nicht mehr viel, passend zum Schicksal des Protagonisten.


Fazit
The Reticent setzen das schwierige Thema Demenz musikalisch überzeugend um. Wir haben es hier mit äußert delikatem Progressive Metal mit allerlei stilistischen Zuckerl aus verschiedenen Stilen zu tun, rhythmisch und melodisch eingängig aber dennoch komplex und fordernd. Gutturale Gesangseinsätze sind selten, aber passen sehr gut und unterstreichen den feinen Sound adäquat. Großartiger, moderner Progressive Rock mit Metal Elementen. 9 / 10.


Line Up
Chris Hathcock – Alle Instrumente und Gesang
James Nelson – Leadgitarre
Andrew Lovett – Saxophon
Amanda Caines – Weiblicher Gesang, Akteursstimme
Steven Wynn – Gutturaler Gesang
Juston Green – Akteursstimme
Rei Haycraft – Akteursstimme

Tracklist
01. Stage 1 – His Name Is Henry
02. Stage 2 – The Captive
03. Stage 3 – The Palliative Breath
04. Stage 4 – The Dream
05. Stage 5 – The Nightmare
06. Stage 6 – The Oubliette
07. Stage 7 – ________

Links
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