Die Kutte – Dresscode, Rebellion und Kult – Kolumne

Vor kurzem starteten wir den Aufruf nach Gastautoren und die Bewerbungen kamen zahlreich. Für die informativsten Beiträge wie den Folgenden machen wir gerne als Sonntagsthema Platz.


Dennis, 39 Jahre, aus dem wunderschönen Ruhrgebiet ist kein Unbekannter in der heimischen Metalszene.
Seit 2013 schreibt er für Reflections of Darkness Reviews und führt Interviews. Seit Mai schreibt er für seinen eigenen Blog Schwermetallisch. In der heutigen Kolumne beschäftigt er sich mit dem Thema Kutte. Dresscode, Rebellion und Kult.


Wir Metalheads wissen, was eine Kutte ist, oder haben zumindest schon welche (tausende!!!) gesehen. Nicht jeder trägt eine oder hat Bock drauf eine zu tragen oder gar anzufertigen und das ist total okay so, oder? Der handelsübliche Heavy Metal Gatekeeper oder wie ich es jetzt mal so nenne, Gralswächter, wird da vehement widersprechen: „Ohne Kutte biste ‘n Poser“ oder: „Als richtiger Metaller musste nähen können“! sind nur zwei von circa tausend mal mehr, mal weniger dummen Kommentaren zu dem Thema.
Um das etwas kürzer zu halten: Heavy Metal ist per Definition Rebellion, Metal ist Anti und zwar am besten Alles! Also was muss ich als Metalhead? ‘N Scheiß muss ich! Und nachdem ich mich mal etwas mehr (sehr viel mehr) mit dem Thema Kutte (oder wie der Ami sagt „Battlevest“) beschäftigt habe, merkte ich, dass viele es ähnlich sehen. Zum Beispiel die Regeln für die Kutte selbst. 

Es gibt nur wenige bis fast gar keine, außer: Genäht wird am liebsten per Hand, Maschine ist verwerflich und kleben statt nähen ist Blasphemie, nahe dem Schlager hören. Die Hauptsache ist, dass die Kutte dem Headbanger, der sie herstellt, auch gefällt: Ob Pins, Buttons, Aufnäher oder sonstiger Schnickschnack wie Ketten oder sogar andere Stoffe als visuelle Abwechslung. Solange es optisch Arsch tritt, ist es erlaubt und wird auch gewürdigt.

Kurze Geschichtsstunde: Die Kutte wurde etwa Mitte der 1970er Jahre berühmt und oftmals berüchtigt, angelehnt an die damals üblichen Bikerwesten, aber statt mit Club Patches mit Aufnähern der favorisierten Bands verziert, geboren. Damals der Dresscode – der Kult! By the way: Es gab auch mehr als einmal Zoff zwischen Bikern und Metalheads. Die Biker wollten es den Metallern damals tatsächlich untersagen, was natürlich nur anfangs und auch damals nur teilweise gelang.

Zurück zu den Verrücktheiten, bei denen ich zum Beispiel nicht mitmache, weil ich manche Regeln im Metalbereich einfach dumm finde und auch zu alt für so einigen Quatsch bin. Viele sind der Meinung, dass man eine Kutte taufen müsse und diese dann auch nicht gewaschen werden darf (meine Regel ist: keiner tauft meine Kutte, ich hab da beim Nähen reingeblutet, das muss reichen und was stinkt, wird gewaschen). Ich hab da so meine eigenen Regeln, was das angeht, da ich erst mit 39 gelernt hab’, wie das geht (dank Corona hatte ich viel Zeit und nichts Besseres zu tun). Ich hab eine Kutte, die eine Ex von mir größtenteils mit der Maschine für mich genäht hat, und eine mit circa 42 Patches, die ich (bis auf den Backpatch) alle per Hand aufgenäht habe. Ich bin der Meinung, vorn drauf soll, was man sehr mag bis liebt, und hinten drauf sollte mit dem Backpatch die Lieblingsband vertreten sein. Sowieso ist das Ganze eine Kunst für sich. Ich hab Kutten gesehen, die waren so hässlich, dass sie schon wieder nen eigenen ranzigen Charme hatten und auch Meisterwerke, die das klamottentechnische Äquivalent zur sixtinischen Kapelle darstellten.

Da gibt es die Kutten, die über und über voll mit Patches sind, da ist quasi kein Stück von der einstmaligen Jeans oder Lederweste zu sehen, und dann gibt es die Kutten, die etwas „aufgeräumter“ sind, bei den sich der „Künstler“ ein Konzept gemacht hat (oder wild welche verteilt und es somit in 9 von 10 Fällen jämmerlich verkackt).

Ich war jahrelang der Meinung, ich müsste das nicht lernen und hab hier und da einfach Leute machen lassen. Dann kam Corona und ich brauchte einen Plan für den Fall, dass ich wochenlang nicht raus kann und keine Leute besuchen darf. An diesem Tag fasste ich den Entschluss, mich ausgiebig mit dem Thema Kutten, Patches und Nähen zu beschäftigen, und was soll ich sagen? Ich hab probiert, mich bei YouTube geschult und tage- und wochenlang meine Finger mit Nadeln zerschunden, um mal selbst ne richtig schicke Kutte zu erschaffen –  und das hab ich auch geschafft. Aber es ist wie mit Tattoos, bei einer bleibts nicht, ich bin jetzt bei der zweiten und plane schon die dritte und vierte und und und…


Alle Fotos in diesem Artikel und im Beitragsbild:
Dennis Schwermetallisch Reviews

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