Brauchen wir Re-Recordings? – Sonntagsgedanken – Kolumne

Vor kurzem starteten wir den Aufruf nach Gastautoren und die Bewerbungen kamen zahlreich. Für die informativsten Beiträge wie den folgenden machen wir gerne als Sonntagsthema Platz.



Neuaufnahmen alter Songs spalten die Metal-Welt. Einige Fans freuen sich über Neuinterpretationen, andere wiederum können nichts damit anfangen und legen lieber das Original auf. Was spricht für Re-Recordings und was spricht dagegen?
Markus Arch, Gastautor aus Klagenfurt

Die Liste an Re-Recordings einzelner Songs oder ganzer Alben ist lang und zieht sich durch alle Metal-Genres. Edguy, Sonata Arctica und Gorgoroth seien hier als Beispiele genannt. Vor kurzem haben aber In Flames einen besonders intensiv diskutierten alten/neuen Song veröffentlicht.

Die einstigen Melodic-Death-Helden haben ihren Hit Clayman inklusive Lyrik Video, das ihr HIER sehen könnt, neu eingespielt. Das Re-Recording wird eher durchwachsen bewertet: 7000 Likes stehen 3400 Dislikes gegenüber (Stand: 10.06.2020). Die negativen Kommentare unter dem Video überwiegen. Das war aber auch nicht anders zu erwarten, wie im echten Leben sind die meisten Leute auch im Internet wesentlich schneller mit Kritik als mit Lob.

Trotzdem stellen sich folgende Fragen: Wieso nehmen manche Bands ihre alten Songs neu auf? Bringt uns das als Fans etwas? Und: Sind Re-Recordings letztendlich nur ein weiterer Marketing-Gag?

Bei Veröffentlichung eines wirklich neuen Albums hat man als Fan oft die Qual der Wahl: Welche Scheibe kaufe ich mir? Die Limited Edition, die Super Limited Collectors Edition, oder doch lieber die Mega Ultra Schlagmichtot Edition mit extra Sticker? Nachdem Musik auch ein Markt ist, macht es Sinn, dass Plattenfirmen gerne mehrere Versionen eines Albums herausbringen. Die Labels wollen schließlich Gewinne produzieren, so wie alle anderen Unternehmen in einer Marktwirtschaft auch. Und wenn es mir als Fan nicht passt, muss ich mir ja keine der zig Special Editions kaufen. Vielleicht ist es mit Re-Recordings ja genauso: Die Neuauflage einer beliebten Scheibe lässt nicht nur die Alarmsirenen der Fans, sondern auch die Kassen klingeln.

Wenn man das Thema nicht von der kommerziellen Seite betrachtet, muss man den Bands aber auch eines zugestehen: Was sie mit ihren Songs machen, ist alleine deren Sache. Bands mögen sich ihren Fans verpflichtet fühlen, das bedeutet aber nicht, dass sie unsere Spaßäffchen sind. Sie sind in erster Linie Künstler, die Kunst auf die Art und Weise erschaffen, wie es ihnen selbst gefällt. Natürlich haben Labels, Produzenten und so weiter auch ein Wort mitzureden, aber im Großen und Ganzen ist die Sache sehr einfach. Musiker machen Musik und sind uns dafür keine Rechenschaft schuldig. Sie freuen sich bestimmt, wenn wir ihre Musik mögen (und kaufen), aber sie müssen sich vor uns nicht rechtfertigen. Das betrifft auch Re-Recordings. Take it or leave it, sozusagen.

Ein anderes Beispiel für ein Re-Recording zeigt, dass das Ganze aber auch anders herum funktioniert. Anfang 2015 haben einige Metallica-Fans deren kontroverses Album St. Anger in Eigenregie neu eingespielt und veröffentlicht. Hintergrund der Aktion: Verprellten Fans das zurückgeben, was die Produktion des Originals nicht einlösen konnte. Das Resultat gibt’s auf Youtube HIER zu hören. Die Idee scheint gut anzukommen: 14000 Likes versus 240 Dislikes (Stand: 10.06.2020).

Kurz gesagt: Metallica haben enttäuscht und der „Fehler“ wurde durch Fans berichtigt, In Flames hingegen haben mit dem Original Clayman einen Klassiker geschaffen und diesen „verschlimmbessert“ – wenn man sich den Kommentaren unter dem Youtube-Video anschließen möchte.

Letztendlich sind Re-Recordings ein zweischneidiges Schwert. Einerseits können sie uns verbesserte Versionen bekannter Songs liefern, andererseits können die Songs dabei ihre Seele verlieren. Vor allem bei Hits und Klassikern kann das sehr schnell passieren. Der Charme alter Songs besteht ja auch darin, dass wir mit ihnen vergangene Zeiten assoziieren. Daher betrachten wir sie als unser persönliches Kleinod, quasi wie Weggefährten. Und niemand will, dass sich lieb gewonnene Weggefährten plötzlich ändern. Dein bester Freund, ein eingefleischter Death-Metal-Fan, schneidet sich die Haare ab, trägt Linkin Park T-Shirts und will nur noch in Disco-Tempeln abhängen? Nicht so toll. Growls in alten Songs werden durch Klargesang ersetzt und die Gitarren so arg heruntergemischt, dass sie sich anhören wie eine Radio-Disney-Version? Auch nicht so toll.

Mit Re-Recordings ist es vermutlich wie mit allem anderen auch: Erfolg gibt Recht. Wenn sich neu aufgenommene Platten gut verkaufen, kann eine ganze Armee von Kritikern negative Kommentare ins Internet posten – es wird die Sichtweise des Labels und der Band nicht stark beeinflussen.

Im schlimmsten Fall bleibt ja immer noch der Griff zum Original und die Erinnerung an eine Band, die einem einmal viel bedeutet hat. Zeiten ändern sich, Bands tun das auch. Das muss man als Fan aushalten, auch wenn es einem nicht gefällt.


Der Autor dieser Zeilen hat diesen Artikel übrigens geschrieben, während er sich alte In Flames-Alben angehört hat. Bis zum 2002er Werk Reroute to Remain und kein Stückchen weiter.

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