Long Distance Calling – How Do We Want To Live? – Weise Entscheidung – Album Review

Long Distance Calling – How Do We Want To Live?
Herkunft:
Münster / Deutschland
Release:
26.06.20
Label:
InsideOut Music / Sony Music
Dauer:
52:00
Genre:
Progressive Rock / Instrumental Post Rock


Long Distance Calling aus Münster stellen uns auf ihrem neuesten Longplayer How Do We Want To Live die philosophische Frage, wie wir unser Zusammenleben mit der Technik, aber auch mit uns selbst organisieren möchten und mit welchen Grundsätzen wir uns dabei auseinandersetzen müssen. Ihr meist instrumentaler, progressiver Postrock war schon immer in ihrer fast 15 jährigen Karriere ideal als Soundtrack zu einem gedachten und gefühlten Film. Auf ihrem neuesten Longplayer sind sie der Hauptfilm, wie sie schon auf ihrer letztjährigen Seats & Sounds Tour und dem Live Dokument STUMMFILM eindrucksvoll bewiesen.

Gleich mit dem zweiteiligen Opener Curiosity wird klar, was sich seit Boundless verändert hat. Es wird mehr auf Elektronik gesetzt, elektronische Flächen und Sprachfetzen bilden die Basis für den breit angelegten Grundsound. Es ist klar als Long Distance Calling erkennbar, aber deutlich reifer, sowohl von den musikalischen Mitteln als auch von der Darbietung der Band. Mehr noch als auf den Vorgängern setzen die vier Musiker auf die Macht der Bilder, so wurde das folgende Hazard mit einem Video ausgekoppelt, welches HIER zu sehen ist. Die phantastische Serie Westworld lässt grüßen und lässt den Hörer mit allen Sinnen darüber spekulieren, ob er in einer Welt der künstlichen Intelligenz noch der Meister über die Technik sein kann oder umgekehrt.

Dieses Thema wird im ebenfalls mit Video ausgekoppeltem Voices, HIER das Video, aufgegriffen. Neben dem Thema KI möchte Long Distance Calling hier auch ein Statement zum Thema Homosexualität setzen und für mehr Offenheit und weniger Ressentiments gegenüber Menschen anderer Herkunft oder anderen Weltbilds setzen, und beweist sich damit am Puls der Zeit. Musikalisch ist das ganze natürlich hervorragend umgesetzt. Das eingestreute, kurze Fail / Opportunity wurde auf der letztjährigen Tour schon mal als Teaser gespielt.

Mit Immunity kommen wir nun zu der dritten Auskopplung mit Video, HIER das Video. Die Band ist mit Covid-19 von der Realität sozusagen eingeholt worden, und hat für ihr drittes Video Fans gebeten, Filmclips zum Thema Covid-19 zu schicken, was die Band zu einer Filmcollage verarbeitet hat und dem Hörer und Zuschauer mit gewaltigen und teilweise verstörenden Bildern die Auswirkungen der selbst verursachten Pandemie vorführt. Obwohl das Album vor der Covid-19 Pandemie konzipiert wurde, passt es doch sehr gut zur aktuellen Situation.

Auf Sharing Thoughts stellt man sich in die Tradition der alten Pink Floyd, Wie schon an manch anderer Stelle auf How Do We Want To Live? fühlt man sich hier, nicht nur thematisch aber auch musikalisch, an das gute alte The Wall erinnert. Long Distance Calling präsentieren sich in ihrer Aufarbeitung allerdings reifer und weniger persönlich. Obwohl das Album hauptsächlich instrumental ist, mit Ausnahme mancher Sprechsequenzen, gibt es mit Beyond Your Limits einen Titel mit Gesang. Hier fragt man sich, warum die Band nicht häufiger mit Sängern arbeitet, der Gastsänger Eric A. Pulverich (bekannt von Kyles Tolone) präsentiert sich mit rauher und melodischer Stimme als absolut passende Ergänzung zum meist instrumentalen Geschehen, auch macht er den Song an sich wesentlich lebendiger als den eher cineastisch-getragenen Rest des Album. Unterbrochen von dem kurzen True / Negative, das schon fast Industrial / Noise Charakter im Stil von NIN hat, kommt das abschließende Ashes zu der Erkenntnis, dass sich der Mensch wie ein Virus verhält. Sehr gut gemacht und organisch im Sound. Ein passender Abschluss.


Fazit:
Long Distance Calling sind auf How Do We Want To Live? nicht mehr so rockig und hart wie früher, präsentieren sich elektronischer und elegischer, aber auch reifer in Darbietung und Thematik. Der Sound ist sehr cineastisch und breit angelegt, ist absolut transparent sowie druckvoll, und hält die perfekte Balance zwischen einem organischem Klang und angemessen eingestreuter Elektronik. Es klingt sowohl modern aber nimmt auch musikalisch auf Vergangenes Bezug, was durch das Artwork noch unterstrichen wird. Für mich ist das Album ein absolutes Highlight im Schaffen der Band, sie hat sich merklich weiterentwickelt und ich bin gespannt darauf, wie sich das Gesamtwerk live präsentiert. Eine klare 10/10 mit ein Anwärter auf mein persönliches Albumtreppchen.

9,5

Line Up
David Jordan – Gitarre
Florian Füntmann – Gitarre
Janosch Rathmer – Schlagzeug
Jan Hoffmann – Bass
Eric A. Pulverich – Gesang auf Beyond Your Limits

Tracklist
01. Curiosity (Part 1)
02. Curiosity (Part 2)
03. Hazard
04. Voices
05. Fail / Opportunity
06. Immunity
07. Sharing Thoughts
08. Beyond Your Limits
09. True / Negative
10. Ashes

Links:
Facebook Long Distance Calling
Webseite Long Distance Calling

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